Echtzeit-Begriff

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Chromanoid
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Echtzeit-Begriff

Beitrag von Chromanoid »

Hallo ihr,
laut DIN 44300 und moderneren Definitionen bedeutet Echtzeit für Computersysteme/Anwendungen ja nur, dass es für die Erfüllung einer Aufgabe einen Zeitrahmen gibt. Bei "weicher" Echtzeit genügt die Einhaltung des Zeitrahmens sogar schon "für den überwiegenden Teil der Fälle" (aus Zöbel, Dieter: Echtzeitsysteme. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2008). Ausgehend von dieser Definition sind ja eigentlich alle Videospiele Echtzeitanwendungen. Selbst rundenbasierte Spiele haben einen Echtzeit-Anteil, nämlich dass die Eingaben des Spielers vom Spielsystem innerhalb von einer bestimmten Zeit verarbeitet werden.
Würdet ihr in einem wissenschaftlichen Rahmen ähnlich argumentieren bzw. um konkret zu werden, Browsergames wie FarmVille (dort liegen sogar "Echtzeit"-Angaben für die Fertigstellung von Gebäuden vor) als interaktive Echtzeit Anwendungen bezeichnen?

Vielen Dank,
Christian
Despotist
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Despotist »

Naja, was irgendwo (wo es kaum einer liest) definiert ist und was die Mehrheit der Leute darunter versteht kann schonmal verschieden sein. Die Sprache ist eine nicht sehr präzise Ausdrucksweise und wenn man versucht präzise zu sein (was nicht immer gelingt) endet es in sowas wie juristischen Texten was schwer zu verstehen ist. Einige Begriffe verändern ihre Bedeutung auch mit dem Kontext in dem sie verwendet werden.
Gerade in einer wissenschaftlichen Arbeit solltest du daher die Bedeutung in deiner Arbeit festlegen indem du dich auf die Definition beziehst zum Beispiel. Ich würde aber auch deutlich machen das das in einem anderen Kontext nicht so verstanden wird einfach um dich klar abzugrenzen und die andere Bedeutung explizit auszuschließen.
Zu deiner konkreten Frage habe ich keine fundierte Meinung ;).
pUnkOuter
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von pUnkOuter »

Ich würde selbst in einem wissenschaftlichen Rahmen rundenbasierte Spiele nicht als Echtzeit bezeichnen. Wie aber Despotist schon richtig bemerkt hat, wirst du eh nicht darum herum kommen, zu erklären, was du mit welcher Bezeichnung meinst.
Für mich bedeutet Echtzeit, dass der zeitliche Verlauf des Gameplays in seiner Geschwindigkeit den Spieler herausfordert. Ein Spiel wie Dragon Age würde ich deshalb nicht als Echtzeit-Spiel bezeichnen, weil der Spielverlauf jederzeit unterbrochen werden kann, ohne dass der Spieler in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt wird ("aktive" Pause). Die Zeit bedeutet also in Dragon Age keine Herausforderung für den Spieler, da die Pausen beliebig lang sein und beliebig oft eingesetzt werden können.
Ein Zeiger ins Blaue ist wie ein Wegweiser nach <SEGFAULT>. Wenn du denkst, mein Name hat was mit abgefuckter Kleidung und bunten Haaren zu tun, dann kehr besser um.
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rüp
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von rüp »

Ist das bei einem Spiel nicht einfach 'n Unterschied zwischen Echtzeit-Anwendung (immer ja) und Echtzeit-Gameplay (meistens ja, bei rundenbasierten Spielen nein).
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Alexander Kornrumpf
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Alexander Kornrumpf »

Naja ich kenn es nur von Simulationen, dass es weniger lange dauern darf einen Timestep zu simulieren als eben dieser Timestep lang ist. Ich denke es geht dir um Spiele, da hilft dir das nicht, aber die DIN wohl auch nicht.
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Chromanoid
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Chromanoid »

In dem Buch wird davon gesprochen, dass eigentlich die meisten Anwendungen Echtzeitanforderungen haben und das wenn dies nicht der Fall ist, das i.d.R. auch nur so ist, weil eine Ausführung in Echtzeit (noch) nicht möglich ist. "Viele Anwendungen werden erst dadurch sinnvoll und nutzbar, dass sie in Echtzeit erfolgen. Demgegenüber gibt es Anwendungen, die trotz der heute verfügbaren Rechenleistung nicht in Echtzeit möglich sind." Als Beispiel für eine weiche Echtzeitanforderung wird folgendes genannt: "Eine typische weiche Echtzeitanforderung soll Folgendes leisten: An den Schaltern eines Reisebüros soll die Buchung eines Sitzplatzes in einem Flugzug in 90% der Fälle weniger als 10 Sekunden und in 99% der Fälle weniger als 20 Sekunden dauern." Ich denke ihr habt recht und man muss einfach explizit den Echtzeit-Begriff im Kontext Spiele abgrenzen.

Fraglich für mich bleibt, ob die Leute, die von "Real-time online interactive Applications" (ROIA) im Zusammenhang mit MMOGs sprechen, mit "real-time" Echtzeit aus der Domäne der Videospiele oder aus der Informatik meinen. Die Beispiele, die in der ROIA Literatur angeführt werden, beziehen sich dabei meistens auf virtuelle Welten wie WoW - dort wären ja beide Interpretationen möglich.
Social Games a'la FarmVille machen es dann noch mal komplizierter - die werden nämlich teilweise auch als Echtzeit-Browsergames bezeichnet - der Echtzeit-Begriff wird wirklich inflationär angewandt. In diesem Fall wird der Bezug zur echten Zeit angeführt. Dies ist wohl eine andere Auslegung, als bspw. die Auslegung des Echtzeit-Begriffs beim Videospiel-Genre-Namen "Real-time Strategy Games". Dort wird wohl zumindest von Spielemagazinen eine gewisse Spielgeschwindigkeit vorausgesetzt.

Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig als diese Begriffsschwammigkeit aufzuführen und für meine Arbeit eine eigene Auslegung zu bestimmen.
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Chromanoid
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Chromanoid »

Nachtrag: Mmh wahrscheinlich wäre es wohl am einfachsten den Begriff "Real-time online interactive Applications" nicht zu verwenden und stattdessen das Schlagwort "Networked Virtual Environments" zu verwenden. Ich suche die Anwendungsklasse, die Spiele wie FarmVille, WoW und Battlefield sowie über Internet verteilte Simulationen und Lernsysteme mit interaktiver grafischer Präsentation zusammenfasst. Habt ihr da sonst noch einen Tipp?
Despotist
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Despotist »

Chromanoid hat geschrieben: der Echtzeit-Begriff wird wirklich inflationär angewandt.
Gerade Werbephrasen sollte man nicht zu ernst nehmen. Da geht es mehr darum was vermutlich dem potentiellen Kunden gefällt als eine hart definierte Beschreibung. Wie gesagt der Kontext bestimmt die Bedeutung. Wenn du eine bestimmte Bedeutung möchtest musst du den Kontext bestimmen.
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Chromanoid
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von Chromanoid »

Ich hab jetzt noch mal eine Präsentation aus dem vermuteten Umfeld der ROIA-Begriffserfinder gefunden, wo der Begriff mit Anforderungen verknüpft wird. Dort ist die Rede von:
• Huge numbers of concurrent users to a single application instance (> 40.000 simultaneous participants in Eve Online),
• High update rate of the application state (5-100 updates/sec),
• Short response time to actions (< 100ms), despite slow Internet links,
• Variable load: daytime-dependent,
• Trust and security: new challenges, e.g., cheating.

Ich denke es ist damit also wohl recht eindeutig der eher subjektive Echtzeitbegriff aus Videospielen gemeint. Danke für eure Meinungen!
joeydee
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Re: Echtzeit-Begriff

Beitrag von joeydee »

Andererseits kaufe ich den Begriff "Echtzeit" genauso ab, wenn ich mich z.B. heute einlogge, eine Aktion anstoße und morgen das Ergebnis weiterverarbeite, für eine Aktion, die tatsächlich einen Tag dauert (Edit: Genauer: in der Realität auch einen Tag dauern würde, auch wenn die Berechnung sofort möglich wäre - also Zeit künstlich in die Länge gestreckt). Genaugenommen laufen Farmerspiele & Co. dann sogar im Zeitraffer... von daher finde ich die Erklärung von Alexander mit dem Timestep recht gut.
Grundsätzlich muss man wohl auch betrachten, ob sich dieser Timestep z.B. nur auf das Gameplay oder auch auf die Darstellung bezieht. Vielleicht kannst du für eine rein wissenschaftliche Differenzierung über das MVC-Konzept da rangehen und dich damit auseinandersetzen, was es für Folgen hat, wenn Echtzeit im Sinne der Timestep-Erklärung in einer, mehreren oder allen Komponenten des Konzepts auftaucht.
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