Facebooklöschtag

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Jonathan
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Facebooklöschtag

Beitrag von Jonathan »

Guten Morgen Kinder,

es ist mal wieder Zeit, Facebook zu löschen. Und alle anderen sozialen Medien. Und ganz wichtig, gmail. Und alles andere auch.

Die USA erzwingt jetzt (siehe tagesaktuelle Nachrichten) die Angabe von Social-Media Accounts für Visumsanträge. Als Deutscher benötigt man für kurze Aufenthalte zwar kein Visum, aber jeder der darüber nachdenkt, mal ein Internship in den Staaten zu machen (in der IT ja nicht unüblich), dürfte davon betroffen sein. Und seien wir ehrlich: Es geht hier nicht nur um öffentlichen Posts, wenn die US schon mit "innere Sicherheit" aka Terrorismusabwehr argumentieren, und wenn man die bisherige Geschichte der US-Geheimdienste betrachtet, muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass auch alle privaten Nachrichten auf US-Servern durchforstet werden.

Das hier richtet sich explizit nicht an alle die Böses im Schilde führen, die sollen natürlich weiterhin damit unvorsichtig umgehen und entsprechend belangt werden. Aber wenn man sich anschaut, wie z.B. die Lage in der sehr guten, demokratischen Türkei aussieht, dann weiß man wie kurz der Weg von politische Meinungsäußerung zu Terrorpropaganda ist. Jetzt muss man nur noch die politische Lage in der US ein paar Jahre in die Zukunft extrapolieren, und man kann sich denken, was da auf einen zukommt.

Das Problem ist, dass man heute handeln muss, um nicht in 10 Jahren seine Daten überall verteilt zu haben. Löschen ist nicht, man muss aufhören neue zu produzieren. Und insbesondere muss man seinen Freunden davon erzählen: Selbst wenn du bei einem vernünftigen deutschen/europäischen EMail-Dienstleister bist nützt das überhaupt nichts, wenn du immer noch mit Menschen die bei gmail sind kommunizierst. Dann sind deine Daten nämlich trotzdem im sehr guten und total freien Amerika, und zwar für immer. Also sagt den Menschen endlich, dass sie aufhören müssen im Internet mit Dingen zu bezahlen, die sie nicht verstehen (Daten) und stattdessen mal einen einzelnen Euro im Monat für Privatsphäre investieren sollen (es kostet wirklich nicht mehr). Und den unnötigen Kram gleich sein lassen, denn das 12jährige Kinder in der Schule gemobbt werden, weil ihre Instagram-Posts die wenigsten Likes in der Klasse haben, das braucht wirklich keiner.

Mir ist klar, dass nichts davon passieren wird und jeder so weiter machen wird, wie bisher (vermutlich mich eingeschlossen). Aber die Welt wird ja auch nicht besser, wenn man über die bösen Dinge nicht redet. Wenn man seine Datenhygiene schon vernachlässigt sollte man sich wenigstens dafür schämen (ungefähr so, wie wenn man auf einer Party ist und stinkt). Vielleicht ändert sich ja eines Tages doch noch irgendwas.




(Am Rande könnte man hier aber tatsächlich noch Alternativen diskutieren, mir fällt nämlich tatsächlich wenig ein. EMail + PGP? Das macht selbst mit Informatikstudium keinen Spaß. Instant-Messenger? Gibt es überhaupt einen einzigen, der keine Telefonnummer braucht und anonym ist? (die letzten 14 mal Jabber ausprobieren haben auch keinen Spaß gemacht). WhatsApp mag EndToEnd sein, aber erstens ist es gerätegebunden und strenggenommen reicht auch ein einziges Zwangsupdate um die unverschlüsselten Daten vom Handy wieder auszulesen. Überhaupt brauche ich etwas, was Cross-Plattform / Cross-Device funktioniert, das einzige wirklich funktionierende System scheint da Telegram zu sein, aber da ist die Crypto auf fragwürdig. Diese neue Matrix Kommunikationsplatform klang interessant, aber gibt es da schon irgendetwas, was funktioniert? Vielleicht sollten wir einfach wieder unsere Freunde im echten Leben treffen und einen Spaziergang durch die schöne Natur machen. Dann hört auch niemand zu.)
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TDK
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von TDK »

Sorry, ich halte lieber meine alten Kontakte auf Facebook usw. aktiv als irgendeinem radikalen Hype-Train zu folgen.

Ich sage es dir mal direkt, weil lese ich zu oft:
1. Das Internet ist schon immer ein -öffentlicher Platz- gewesen und Verkehrsregeln halte ich einfach ein.
2. Jeder Ossi lehrt dir "Fasse dich kurz". Sorry aber wer über Internet "dunkles" macht hat es nicht anders verdient.
3. Mach dir mal eine Platte wo DEIN Verhalten in der Gesellschaft ein Problem ist und nicht umgekehrt.

Getreu deinem Motto "Wir leben ja alle in der Türkei". What'ever...
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Chromanoid
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von Chromanoid »

Ich wäre eher dafür Staaten, die sowas machen, nicht zu bereisen. Und beim Kehren vor der eigenen Haustür alle demokratischen Mittel auszuschöpfen. Wenn sich die Einstellung durchsetzt, ist es eh verloren. Ob es dann der Internetprovider ist, Bankinstitute, irgendwelche Drohnen oder Kameras, irgendwie werden genug Daten zusammen kommen, die man nicht in den Händen von Leuten wissen will, die mit "demokratischen" Prozessen das gleiche versuchen, wie F2P-Spielebetreiber mit ihren Spielmechaniken. Der NSA-Skandal hat doch gezeigt, dass wo ein Wille auch ein Weg ist.
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Jonathan
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von Jonathan »

Ich war ein bisschen emotional als ich den Text verfasst habe, und es war nicht alles komplett ernst gemeint, sondern sollte ein bisschen überspitzt formuliert sein, um nochmal zum Nachdenken über das Problem anzuregen.
TDK hat geschrieben: 03.06.2019, 13:59 Sorry, ich halte lieber meine alten Kontakte auf Facebook usw. aktiv als irgendeinem radikalen Hype-Train zu folgen.

Ich sage es dir mal direkt, weil lese ich zu oft:
1. Das Internet ist schon immer ein -öffentlicher Platz- gewesen und Verkehrsregeln halte ich einfach ein.
2. Jeder Ossi lehrt dir "Fasse dich kurz". Sorry aber wer über Internet "dunkles" macht hat es nicht anders verdient.
3. Mach dir mal eine Platte wo DEIN Verhalten in der Gesellschaft ein Problem ist und nicht umgekehrt.

Getreu deinem Motto "Wir leben ja alle in der Türkei". What'ever...
Vernünftiges Verhalten im Internet ist eine Sache, ABER: Das Internet ist KEIN rein öffentlicher Raum. Dinge, die ich hier in diesem Forum schreibe, sind öffentlich, ich weiß das und verhalte mich dementsprechend. Allerdings kommuniziere ich auch sehr viel privat und das hat auch privat zu bleiben. Weder eine Maschine noch ein Mensch sollte es erlaubt sein, meine privaten Unterhaltungen mitzulesen. Es geht ja nichteinmal darum, dass ich über irgendetwas brisantes reden würde. Es geht einfach darum, dass es meine Lebensqualität erheblich mindert, wenn ich privat mit jemanden chatte und mir im Hinterkopf immer klar ist, dass nicht nur die Person für die es bestimmt ist diesen Text lesen könnte, sondern auch diverse andere, möglicherweise viel später.

(In diesem Sinne war mein Argument mit "freie Meinungsäußerung wird zerstört" ein bisschen der Versuch ein sehr emotionales Argument (erlebte Privatsphäre) durch ein etwas rationaleres (Demokratie braucht das) zu ersetzen. Ich halte aber im Wesentlichen beide für gültig.)

Und das Problem ist, dass sich eben unser Leben gewandelt hat. Früher musste halt die Polizei explizit jemanden überwachen, das war dann eine Abwägung zwischen Recht auf Privatsphäre und berechtigter Aufklärungsarbeit. Aber wenn heutzutage der Großteil der Kommunikation online stattfindet (im dennoch privaten Rahmen) und einfach weil man es kann Verdachtsunabhängig alles davon ausgewertet wird, dann ist das keine Abwägung mehr sondern eine Abschaffung.

Kannst du Punkt 3 nochmal erläutern? Ich bin mir unsicher, worauf du damit hinaus willst.

Ich wollte hier auch gar nicht explizit auf der Türkei herumreiten, das war eben nur das erste Beispiel, das mir eingefallen ist. Gerade heute gibt es auf Tagesschau.de wieder einen Artikel über das Unterdrücken des Tiananmen-Gedenkens. Allerdings mag das Beispiel tatsächlich schlechter sein, weil in China die Sicht auf Privatsphäre (und Demokratie) generell eine andere ist.
Chromanoid hat geschrieben: 03.06.2019, 14:50 Ich wäre eher dafür Staaten, die sowas machen, nicht zu bereisen. Und beim Kehren vor der eigenen Haustür alle demokratischen Mittel auszuschöpfen. Wenn sich die Einstellung durchsetzt, ist es eh verloren. Ob es dann der Internetprovider ist, Bankinstitute, irgendwelche Drohnen oder Kameras, irgendwie werden genug Daten zusammen kommen, die man nicht in den Händen von Leuten wissen will, die mit "demokratischen" Prozessen das gleiche versuchen, wie F2P-Spielebetreiber mit ihren Spielmechaniken. Der NSA-Skandal hat doch gezeigt, dass wo ein Wille auch ein Weg ist.
Ich war ehrlich gesagt von dem NSA-Skandal ziemlich enttäuscht. Zum Beispiel als es ziemlich deutlich wurde, dass die damalige Regierung da viel tiefer drin steckt, als man eigentlich erwartet hätte aber dann trotzdem ein halbes Jahr später fast ohne Verluste wiedergewählt wurde. Und das eine Datenaustasuchabkommen zwar gekippt wurde aber kurz darauf durch ein anderes ersetzt wurde, das sich nicht viel besser anhörte.

Und ist Länder boykottieren nicht im Wesentlich das selbe wie Dienste zu boykottieren? Ich meine, mir geht es gar nicht hauptsächlich um die eine kleine Tatsache, dass Facebookpostings jetzt ein Datenpunkt in deinem Visumsantrag sind. Es geht viel eher darum, dass es ein weiteres Beispiel dafür ist, wie wir mit unseren Daten umgehen und es sich um ein generelles und viel größeres Problem handelt. Ich denke nicht, dass ich persönlich durch diese Regelung irgendetwas zu befürchten habe, aber ich sehe den generellen Trend und der beunruhigt mich.
Und das demokratisch zu lösen: Das Problem ist doch, dass die meisten Menschen Datenverarbeitung nicht verstehen. In gewisser Hinsicht sollen sie das ja auch gar nicht, die Welt ist kompliziert und man sollte nicht alles verstehen müssen, um es zu benutzen. Beispielsweise ist für mich ein Auto auch eine Blackbox, ich kann vielleicht noch die Reifen wechseln aber dann hört es auch schon ganz schnell auf. Und das ist ja auch vollkommen in Ordnung so. Der Unterschied ist aber, dass das was unter der Motorhaube passiert nicht unsere Gesellschaft komplett verändert. Ich muss nicht verstehen, was eine Zylinderkopfdichtung ist um zu wissen, welcher Partei ich beim nächsten Mal wählen soll.
Aber wenn dich jemand nach deinen Daten fragt, hört der Durchschnittsnutzer nur "oh, lecker Gratisinhalte". Und es ist ja nicht so, dass es hier um Verschwürungstheorien geht oder das System erst im Aufbau ist. Datengetriebene Werbung sorgt eben nicht nur dafür, dass du mehr Quatsch kaufst, sondern auch, dass du die andere Partei wählst, wie man es an Facebook sehr schön (und erschreckend) gesehen hat.
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von Chromanoid »

Jonathan hat geschrieben: 04.06.2019, 09:08Und ist Länder boykottieren nicht im Wesentlich das selbe wie Dienste zu boykottieren? Ich meine, mir geht es gar nicht hauptsächlich um die eine kleine Tatsache, dass Facebookpostings jetzt ein Datenpunkt in deinem Visumsantrag sind. Es geht viel eher darum, dass es ein weiteres Beispiel dafür ist, wie wir mit unseren Daten umgehen und es sich um ein generelles und viel größeres Problem handelt. Ich denke nicht, dass ich persönlich durch diese Regelung irgendetwas zu befürchten habe, aber ich sehe den generellen Trend und der beunruhigt mich.
Und das demokratisch zu lösen: Das Problem ist doch, dass die meisten Menschen Datenverarbeitung nicht verstehen. In gewisser Hinsicht sollen sie das ja auch gar nicht, die Welt ist kompliziert und man sollte nicht alles verstehen müssen, um es zu benutzen. Beispielsweise ist für mich ein Auto auch eine Blackbox, ich kann vielleicht noch die Reifen wechseln aber dann hört es auch schon ganz schnell auf. Und das ist ja auch vollkommen in Ordnung so. Der Unterschied ist aber, dass das was unter der Motorhaube passiert nicht unsere Gesellschaft komplett verändert. Ich muss nicht verstehen, was eine Zylinderkopfdichtung ist um zu wissen, welcher Partei ich beim nächsten Mal wählen soll.
Aber wenn dich jemand nach deinen Daten fragt, hört der Durchschnittsnutzer nur "oh, lecker Gratisinhalte". Und es ist ja nicht so, dass es hier um Verschwürungstheorien geht oder das System erst im Aufbau ist. Datengetriebene Werbung sorgt eben nicht nur dafür, dass du mehr Quatsch kaufst, sondern auch, dass du die andere Partei wählst, wie man es an Facebook sehr schön (und erschreckend) gesehen hat.
Ich finde es falsch Nutzern die Verantwortung für die unmoralische Nutzung ihrer Daten aufzuhalsen. Um es mal überspitzt auszudrücken: Nur weil Leute vor meinem Fenster herumlaufen, darf ich sie nicht erschießen, auch wenn ich das (Pistole vorausgesetzt) sehr einfach könnte. Es gibt einfach Dinge die darf man nicht tun, auch wenn es leicht wäre. Genauso ist das mit Daten. Nur weil jemand ein Fotoalbum liegen lässt, darf das nicht einfach so kommerziell genutzt werden. Genau da muss man aus meiner Sicht ansetzen. Dank GDPR sind wir da ja auch schon recht weit. Daher sehe ich da jetzt vor allem die amerikanische Regierung, die eine datenschutzrechtlich bedenkliche Forderung stellt, als noch zu lösendes Problem. Es sollte international geächtet werden, solche Daten bei Einreise zu verlangen. Man könnte auch mit Sanktionen arbeiten. Und als Bürger sollte man solche Länder nicht bereisen.
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von VirtualLabs2000 »

Ich halte deinen Aufruf, sofort sein Facebook-Konto (und andere) zu löschen für eine sehr emotionale Reaktion auf ein Problem, was man eigentlich mal viel grundlegender diskutieren müsste.
Für mich ist die zentrale Frage, wie viel Freiheit braucht das Internet und wie viel Regulierung braucht es?
Jonathan hat geschrieben: 04.06.2019, 09:08 Allerdings kommuniziere ich auch sehr viel privat und das hat auch privat zu bleiben. Weder eine Maschine noch ein Mensch sollte es erlaubt sein, meine privaten Unterhaltungen mitzulesen.
Daraus entnehme ich, dass du grundsätzlich schon der Meinung bist, dass es auch im Internet Regeln geben muss.
Regeln können aber nur dann funktionieren, wenn deren Einhaltung zumindest in irgendeiner Form auch überwacht wird.
Jonathan hat geschrieben: 04.06.2019, 09:08 Und das Problem ist, dass sich eben unser Leben gewandelt hat. Früher musste halt die Polizei explizit jemanden überwachen, das war dann eine Abwägung zwischen Recht auf Privatsphäre und berechtigter Aufklärungsarbeit. Aber wenn heutzutage der Großteil der Kommunikation online stattfindet (im dennoch privaten Rahmen) und einfach weil man es kann Verdachtsunabhängig alles davon ausgewertet wird, dann ist das keine Abwägung mehr sondern eine Abschaffung.
Ja, du hast Recht - Früher musste die Polizei jemanden explizit überwachen und das war mit Aufwand und einer bewussten Entscheidung verbunden. Heute geht das automatisch. Aber auch die andere Seite hat sich doch gewandelt. Wenn ich früher meine Meinung äußern wollte, musste ich entweder vor die Tür gehen und mich direkt den Menschen stellen oder ich musste ein Flugblatt drucken oder so - es war jedenfalls auch mit Aufwand verbunden und die Chance einer direkten Konfrontation war hoch, genauso die Möglichkeit, das zu mir zurückzuverfolgen. Genauso waren illegale Aktivitäten immer mit mehr Aufwand verbunden. Heute lege ich mir im Netz einen Fake-Account an und kann Millionen anderer Menschen mit meiner kruden Meinung erreichen. Heute kann ich im Darknet Drogen handeln, ohne überhaupt das Haus verlassen zu müssen. Heute kann ich mit einem Mausklick Inhalte verbreiten, die mir überhaupt nicht gehören. Ich finde es daher nicht verwunderlich, dass sich da auch die Überwachung entsprechend anpasst.

Ich will nochmal explizit unterstreichen, dass ich nicht die Ansicht mancher Politiker teile, dass das Internet nur ein schrecklicher Ort voller Illegalität sei. Das Internet bietet tolle neue Möglichkeiten in so ziemlich sämtlichen Lebensbereichen, es lässt Grenzen verschwinden, bringt Leute zusammen, verteilt Wissen, lässt Leute teilhaben und das alles innerhalb von Sekunden. Aber es gibt eben auch die andere Seite des Internets - genauso wie im realen Leben auch.

Die zwei zentralen Fragen sind doch also, 1) wie viel Regeln braucht das Internet und 2) wie soll die Einhaltung dieser Regeln sichergestellt werden?

Wenn die USA jetzt Social Media-Profile erfassen, ist das für mich einfach nur ein (vielleicht etwas unglücklicher) Versuch, die Einhaltung von Regeln und Gesetzen (und vielleicht auch Interessen) voranzutreiben.
Darauf jetzt mit einem Löschen des Facebook-Profils zu reagieren, ist doch bloß eine Trotzreaktion. Das ist ein "wir gegen die" oder ein "der Staat ist der böse Feind". Halte ich persönlich gar nichts von, führt am Ende doch nur dazu, dass die Gräben nur noch tiefer werden.

Es muss offen und ehrlich über diese zwei Fragen diskutiert werden. Eine Einstellung der Utopie (alles illegale ausblenden und das Internet als komplett frei und anonym einfordern) hilft da genausowenig weiter wie die Unwissenheit über z.B. die Weitergabe von Daten. Da bin ich dann wieder ganz deiner Meinung. Da muss viel früher mit angefangen werden, z.B. Medienkompetenz in der Schule.

Und gerade die jüngere Generation, die hier mehr Regeln beim Datenschutz und Einschränkung der Befugnisse von Staaten und Firmen fordern, muss bereit sein, sich dafür auch politisch zu engagieren. Denn unsere Gesetze werden nunmal im Bundestag gemacht und nicht auf der Straße oder in irgend nem Forum - auch wenn sich manche Digital Natives das wünschen. Und dann "#niemehrcdu" zu skandieren, hilft auch nicht weiter. Denn die CDU hat einfach nur so gehandelt, wie man es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung und ihrer Zielgruppe erwarten würde.

Wer wirklich etwas ändern will, soll eine Partei gründen/einer Partei beitreten, die Regeln der Politik (zumindest vorerst) akzeptieren, Mitstreiter suchen und so sein Anliegen voranbringen. Die Piratenpartei war zumindest am Anfang ein guter erster Schritt dafür - zumindest bis zu dem Punkt, an dem sie sich selbst aufgerieben haben, weil jeder nur versucht hatte, seine Forderungen zu 100% durchzusetzen.

Ich denke, wenn wir endlich auf der Ebene der Diskussion angekommen sind, dann brauchen wir nicht mehr darüber zu philosophieren, ob das Löschen des eigenen Facebook-Profils jetzt sinnvoll oder gar notwendig wäre.
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Re: Facebooklöschtag

Beitrag von Jonathan »

VirtualLabs2000 hat geschrieben: 04.06.2019, 14:02 Ich halte deinen Aufruf, sofort sein Facebook-Konto (und andere) zu löschen für eine sehr emotionale Reaktion auf ein Problem, was man eigentlich mal viel grundlegender diskutieren müsste.
Das trifft es sehr gut. Vieles war überspitzt formuliert und nicht ganz ernst gemeint (die Anrede z.B.), aber manchmal bekommt man mit so einer Vorlage eine schönere Diskussion. Aber ich hatte ganz ehrlich gesagt auch schlecht Laune, als ich den Artikel gelesen habe.

VirtualLabs2000 hat geschrieben: 04.06.2019, 14:02 Es muss offen und ehrlich über diese zwei Fragen diskutiert werden. Eine Einstellung der Utopie (alles illegale ausblenden und das Internet als komplett frei und anonym einfordern) hilft da genausowenig weiter wie die Unwissenheit über z.B. die Weitergabe von Daten. Da bin ich dann wieder ganz deiner Meinung. Da muss viel früher mit angefangen werden, z.B. Medienkompetenz in der Schule.
Ja, wobei gibt es da eigentlich eine vernünftige Antwort? Ich neige zwar dazu, die Welt ein bisschen zu sehr aus meiner Perspektive zu sehen: "Ich mache nichts böses - ich habe es nicht verdient überwacht zu werden". Und zu dieser Aussage werde ich auch jederzeit stehen und ich glaube ehrlich gesagt, dass ein Großteil der Menschen denen das egal ist, einfach noch nicht verstanden haben, was das bedeutet (Hat man an diesem Straßenexperiment gesehen, wo ein Typ sich Handys ausgeliehen hat und dann angefangen hat die privaten Nachrichten laut vorzulesen).
Aber bei manchen (wenigen) Menschen sieht die Abwägung zwischen gesellschaftlichen und privaten Interessen definitiv anders aus. Aber mir scheint, dass es im modernen online Leben nur noch die zwei extreme "ganz" oder "Gar nicht" gibt. Mir ist es bei Weitem lieber, wenn man zwei Polizisten in die Fußgängerzone stellt, die sich dort ein wenig umgucken, als alles mit Überwachungskameras auszustatten und per Gesichtserkennung für jeden Menschen ein Bewegungsprofil für den ganzen Tag anzulegen. Der Polizist sieht auch nicht nur die Verbrecher sondern guckt sich auch die normalen Passanten an und denkt sich seinen Teil dabei, aber bei dem Polizisten kann ich mir zumindest sicher sein, dass er das nicht bei jedem tun kann, dass er sich nicht alles was er sieht merken kann und das man ihn nicht so leicht für andere Dinge zweckentfremden kann. Und das man ihn sehen kann und für jeden Menschen klar ist, das man beobachtet (mehr oder weniger) wird.
Im Internet wird halt potentiell alles gespeichert, es wird potentiell für immer gespeichert, es wird für alles verwendet, für das es nützlich erscheint und es wird in der Regel darüber gelogen, was wo wie lange und wofür gespeichert wird. An den letzten zwei Punkten kann (und sollte) man politisch sicher etwas ändern. Aber die ersten zwei sind eben eher prinzipieller Natur, Onlineüberwachung ist eben nicht gezielt und damit sie sinnvoll funktioniert braucht man eben ganz viele Daten von ganz vielen Menschen über ganz lange Zeiträume. Und da ich selber natürlich ungern Opfer irgendeines Verbrechens würde, dass man mit ein bisschen mehr Überwachung so leicht hätte lösen können, habe ich nicht nur keine gute Antwort auf diese Frage, ich glaube sogar dass gar keine gute Antwort existiert, weil das Problem eben prinzipieller Natur ist.

Aber ich halte es nach wie vor für wichtig, Leute (z.B. Bekannte) mit solchen Themen ein wenig zu nerven. Medienkompetenz ab der Grundschule ist eine wichtige Idee (und weil das so oft diskutiert wird, gibt es das bestimmt auch so langsam), aber wenn wir jetzt erst damit anfangen 'müssen' wir halt noch ~80 Jahre mit Menschen in der Gesellschaft leben, die das in der Schule eben nicht gelernt haben. Und wenn man etwas gesamtgesellschaftlich diskutieren will, dann wäre es eben gar nicht so schlecht würde die Gesellschaft ein bisschen verstehen worum es geht. Und dazu gehören durchaus auch mal ein paar Artikel von den Strafverfolgungsbehörden, in denen sie schildert wie ihr Job damals aussah und was sich heute geändert hat und wo da die Probleme sind.
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